
Vor 25 Jahren ist eine Ikone des Internets erfunden worden. Oder soll ich sagen, ein Hassobjekt? Es geht um die Schriftart Comic Sans MS, oder wie wir Typofreaks sie nennen: Comic Sans. Ich kann mich noch an Kanada erinnern. Der Nationalfeiertag vor ein paar Jahren. Das Land hat eine 25-Cent-Gedenkmünze herausgegeben, mit Comic Sans als Schriftart. Damit wollte man den spielerischen Humor, der den Kanadiern oft zugeschrieben wird, unterstreichen. So war die Begründung.
Wir machen uns oft über den Einsatz lustig. Das habe ich gespürt, als ich vor ein paar Wochen auf Twitter fragte, was denn euer Verhältnis zu Comic Sans ist. Parniean fragte mich, ob ich noch keinen Kaffee hatte. Elbblick wollte mich blockieren und entfolgen. Von CookMal kam ein ablehnendes “Bitte nicht.” Mick so: “Bestens. Ich amüsiere mich jedes Mal wenn sie irgendwo auftaucht.” Christina schickte mir das Bild von einer Tasse auf der steht: “Wenn ich alleine bin, nutze ich Comic Sans.” Andreas schrieb: “Am liebsten in gelb auf weißem Hintergrund gedruckt.” Sebastian twitterte noch: “Tolle Schriftart für Aushänge im Flur, dass es bei der Party am Wochenende etwas lauter wird!” Supatyp: “Und da war noch der Unityp, der eine Hausarbeit in Comic Sans nicht annahm.” Verstehe ich auch nicht. Festraum schrieb: “Comic Sans – eine Geschichte voller Missvertändnisse.“ Das trifft es ganz gut.
Als Erfinder gilt Vincent „Vinnie“ Connare. Im Jahr 1994 hat er die Schrift erfunden. Ursprünglich sollte diese Schriftart in Sprechblasen der Software Microsoft Bob eingesetzt werden, um die Nutzer besser durch das Programm zu führen. Damals war noch Windows 3.1 angesagt und Bob sollte ein Ersatz für die graphische Oberfläche werden. Das Problem: Nach Fertigstellung der Schrift kam heraus, dass die Texte nicht in die Sprechblasen passten, weshalb die Schrift nicht verwendet wurde. Ihren ersten Einsatz hatte sie erst 1995 im 3D Movie Maker. Seit ihrer Auslieferung mit dem Plus!-Paket von Windows 95 gehört Comic Sans MS zu den Standardschriftarten des Microsoft-Betriebssystems. Heute gehört die Comic Sans zu den Kernschriftarten – sowohl bei Windows als auch beim Mac.
Vor allem in Designerkreisen ist die Schrift verpönt. Sie ist so stark verbreitet, dass sie auch zu Anlässen benutzt wird, die vielleicht nicht unbedingt zwangsläufig angebracht sind. Stichwort: Grabstein. Die Welt Kompakt beschrieb die Comic Sans als den Justin Bieber der Schriften. Nutzer lieben die Schrift. Bringt sie doch ähnlich, wie die laut Welt „Retortenpopsongs Bibers, eine kindliche Leichtigkeit mit sich, der man sich nur schwer entziehen kann. Comic Sans wurde das “Love Yourself” der späten 90er-Jahre: omnipräsent und weltweit bekannt.“ Es gab sogar richtige, ernstgemeinte Kampagnen gegen den inflationären Einsatz von Comic Sans. Laut Welt Kompakt hat sich sogar der Erfinder angeschlossen: „Genauso wie man Justin Bieber nur wohl dosiert vertragen könne, ist dem wohl auch mit Comic Sans. Manche Dinge ließen sich eben nur in einem bestimmten Kontext und in geringer Dosis ertragen.“
Aber es gibt auch Verfechter der Comic Sans. Zum Beispiel die Betreiber der Webseite comicsanscriminal.com. Die verspricht: “Hilfe für Menschen wie dich und mich, um die Schrift richtig einzusetzen.” Es gibt demnach verschiedenen Anlässe, wann Comic Sans die richtige Schrift ist:
- Wenn die Zielgruppe unter 11 Jahre ist
- Wenn du ein Comic erstellst
- Wenn die Zielgruppe eine Leseschwäche hat
- Wenn die Zielgruppe dir sagt, dass sie Comic Sans ganz gut findet
Comic Sans kann tatsächlich vielen Menschen mit Leseschwäche helfen, Texte besser zu erkennen. In einem Text der Süddeutschen Zeitung wird von Jessica Hudgins berichtet. Wegen ihrer Legasthenie fällt es ihr schwer, Texte in Times New Roman zu lesen. Sie konnte mit ihren Klassenkameraden immer dann locker mithalten, als sie die Arbeitsblätter der Schule herunterladen konnte und dann die Schrift vergrößerte und auf Comic Sans stellte. Ihre Schwester Lauren war sauer auf das schlechte Image im Netz und machte in einem Blogtext ihrem Ärger Luft. Sie forderte andere Internet-Nutzer auf, den „elitären und herablassenden“ Spott sich doch bitteschön sonst wohin zu stecken. Die Verteidigungsrunde wurde zum Viral-Hit.
Michaela Mayer ist diplomierte Legasthenietrainerin und Vorstandsmitglied des Dachverbands Legasthenie Deutschland (DVL). In der Süddeutschen bestätigte sie diese Feststellung: „Für manche Betroffene spielen Schriftart und Farbe eine große Rolle.“
Am Ende lebt die Comic Sans auch von dem Spott. Es wäre falsch, sich nicht auch ein wenig über kuriose Einsätze lustig zu machen. Aber zumindest sollten wir auf den Schirm haben, welchen Dienst diese Schriftart erweist. Und das nun seit immerhin 25 Jahren.
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